Im Vergleich zu Stralsund, Lübeck oder Brandenburg mag der Begriff „Orgelstadt Potsdam“ etwas hochgegriffen sein, doch muss sich diese mit ihren vielen interessanten Instrumenten nicht verstecken. Spätestens mit der Ansiedlung von Gottlieb Heise (1785-1847) 1820 kann sich auch Potsdam als Stadt für ansässige Orgelbauer rühmen. Von den Werken, die Heise in Potsdam hinterließ, ist nur der Prospekt der Orgel in der Friedenskirche erhalten. Der vermutlich in Potsdam geborene Carl Ludwig Gesell (1808-1867) könnte sein Handwerk bei Heise erlernt haben. 1848 mietete Gesell die Werkstatt von der Witwe Heises und verlegte diese 1856 ins Holländische Viertel, welches schnell zum Wohnsitz von Handwerkern und Künstlern wurde. Nur wenige Jahre nach der Werkstattübernahme trat Carl Schulze (?-1878) in das Unternehmen mit ein. Durch den frühen Tod seines Vaters, im Alter von 58 Jahren, übernahm nun Carl Eduard Gesell (1845-1894) dessen Werkstatt. Mit nur 49 Jahren starb auch C. E. Gesell kinderlos. Die Orgelbautradition sollte damit jedoch nicht enden. Sein ehemaliger Geselle[1] Alexander Schuke (1870-1933) übernahm nun im Alter von 24 Jahren die Werkstatt von Gesell in der Junkerstraße 36, und verlegte diese wenige Jahre später einige Häuser weiter in die Junkerstraße 41, der heutigen Gutenbergstraße 71. Auch A. Schuke war kein langes Orgelbauerleben vergönnt. Mit 63 Jahren verstarb er an einer Blutvergiftung, jedoch nicht kinderlos. In der zweiten Generation führten Karl Ludwig (1906-1987) und Hans Joachim (1908-1979) zunächst gemeinsam die Werkstatt in Potsdam, später dann, 1953-1972, wurde sie von Hans Joachim Schuke übernommen. Dieser war durch Krankheit und Enteignung stark gezeichnet und so leitete 1979-1989 Max Thiel als VEB-Direktor den Betrieb. Mit der politischen Wende 1989 konnte die Firma reprivatisiert werden. Matthias Schuke war nun in dritter Generation von 1990-2019 Inhaber der Orgelbauwerkstatt. Heute führen in vierter Generation Michael und Johannes Schuke die Orgelbauwerkstatt in neuen Werkstatträumen in Werder/Havel weiter.
Die Dörfer Golm und Grube (heute in Potsdam eingemeindet) erfreuen sich einer Orgel aus der Potsdamer Werkstatt von Carl Eduard Gesell. Sein größtes Werk mit 27 Registern ist dem zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Etliche seiner mittleren Werke von 9 bis 12 Registern sind beschädigt erhalten. Erstaunlicherweise ist die Orgel von 1883 in Konstantinopel (evang. Kirche) mit 12 Registern bis heute erhalten. Bereits im ersten Weltkrieg sind fast alle Instrumente ihrer klanglichen Basis (Principalregister im Prospekt) beraubt worden. Dieses gilt auch für die Orgeln in Golm und Grube.
Die Golmer Orgel besitzt 11 Register, 6 Register im ersten Manual, 3 im zweiten und 2 Register im Pedal. Auch hier hat der zweite Weltkrieg Spuren an der Orgel hinterlassen. Schäden durch Granatbeschuss sind sowohl an der Kirche als auch an der Orgel sichtbar. Einschusslöcher sind am Orgelgehäuse und auch am Notenpult zu erkennen. Ebenso fallen die, kurz nach dem ersten Weltkrieg aus Zink ersetzten, Prospektpfeifen auf. Diese betreffen fast die Hälfte der Pfeifen des Registers Principal 8‘, die eigentlich aus einer hochwertigen Zinn-Blei-Legierung gefertigt waren. Später schädigte ein kaputtes Kirchendach die Windladen der Manual - Werke und die Windversorgung (den Balg). Eine fast nicht mehr spielbare Orgel führte zu Vandalismus. Diverse Orgelpfeifen aus Holz und Metall wurden entwendet. Durch eine gründliche Reparatur in den 1980er Jahren konnten fast alle Schäden an dieser Orgel beseitigt werden. Die Einschläge am Orgelgehäuse wurden ganz bewusst nicht entfernt und zeugen noch heute von diesen furchtbaren Ereignissen. Finanzielle Gründe sprachen damals gegen eine Rekonstruktion der Prospektpfeifen.
Technisch sind die Werke aus der Werkstatt Gesells sehr solide gefertigt und überzeugen immer wieder als dauerhafte gebrauchsfähige Instrumente in Gottesdiensten und Konzerten. Auch klanglich sind Gesells Instrumente auf einer guten Äqual-Lage aufgebaut und mit einer kräftigen Intonation ausgestattet. Zarte Register wie Doppelrohrflöte 8‘ aus Holz, Aeoline 8‘ aus Metall oder Portunalflöte 4‘, wieder aus Holz, vervollständigen diese wunderbaren Orgeln.
Die kleinere Dorforgel in Grube 1890 mit 6 Registern als Brüstungsorgel gefertigt, überzeugt ebenfalls mit ihrer soliden Dauerhaftigkeit. Die im ersten Weltkrieg ausgebauten Prospektpfeifen wurden durch Zinkpfeifen ergänzt und konnten in den letzten Jahren durch nun wieder hochwertige Zinnpfeifen ausgetauscht werden. Wünschenswert wäre diese Vollendung nun auch für die Golmer Orgel. Bei regelmäßiger Pflege können uns diese Instrumente auf lange Zeit erhalten bleiben und Freude bereiten.
Klaus-Michael Schreiber (Orgelrestaurator Schuke)
[1] 100 Jahre Alexander Schuke Orgelbau in Potsdam, Festschrift der Firma zum 100en Jubiläum 1994